Nicht nur am heutigen Tag der Kinderbetreuung: Übertönt von lauteren Demos und im Gedränge der Shopping-Menge nicht so auffällig, gehen auch Eltern immer wieder auf die Straße. Denn die Kitas sind noch ganz zu, die Schulen noch lange nicht ganz geöffnet. Mütter und Väter müssen vielfach neben ihrer Arbeit die Betreuung übernehmen, sei es im Homeoffice oder am Arbeitsplatz. Sie berichten von gereizten, traurigen und aggressiven Kindern – umgekehrt sähe es wohl nicht viel anders aus. Ein Ende ist für die meisten nicht in Sicht. Dabei hat sogar Bundesfamilienministerin Franziska Giffey erkannt: „Wenn über die Bundesliga mehr diskutiert wird als über Kinder, finde ich das schon sehr skurril.“ Ihr Ministerium twitterte gestern zum Muttertag: "Es sind vor allem Mütter, die alles am Laufen halten." Zwei Tage zuvor veröffentlichte es bereits ein VIdeo, wo in einer gemalten Geschichte ein kleines Mädchen begeistert erzählt, wie ihre Mama für sie kocht, nebenbei Videokonferenzen hat, "wer-kann-am-längsten-stillsein" zu spielen versucht und mit ihm auf dem Rücken Yoga macht.

"Ich würde es mal so sagen: Zynischer die politische Gleichgültigkeit gegenüber Frauen, Müttern und Familien auf den Punkt zu bringen und das mit einem Arschtritt (sorrynotsorry) zu versehen, geht fast nicht", so die Reaktion von Rona Duwe auf ihrem Blog phoenix-frauen.

"Na? Wer hat sich auch gestern über die zynisch anmutenden Muttertags-Tweets vom Familien- und Gesundheits­ministerium geärgert?", fragt heute ebenfalls Sonja Lehnert auf ihrem Blog Mama-Notes. "Ein Rollenverständnis von 1950, laue Dankbarkeit an einem Tag im Jahr, selbstverständliches Homeschooling zur Corona-Krise aus Mutter­liebe. Dazu abwesende Väter, abwesende politische Unterstützung, abwesende Entlohnung für eine zusätzliche Arbeitsleistung wie Betreuung und Homeschooling." Und weiter: "Der Backlash der Rollenzuweisungen ist ganz überdeutlich. Wer sollte nochmal zur Maskenproduktion herhalten, die die Politik bis heute nicht sichergestellt hat: 'Die Mami', so Wortlaut Söder."

Sogar die konservative FAZ warnt vor einem Rückfall in das Rollenbild der Fünfziger und schreibt von der 'Corona-Falle‘. Dabei waren Frauen in Deutschland schon vor der Coronakrise täglich 4,5 Stunden mit unbezahlten Tätig­keiten beschäftigt. Mütter von Kindern unter 16 Jahren sogar 6,9 Stunden. Mitte April waren es 8,2 Stunden. Ihre gesamte Arbeitszeit nahm durchschnittlich, trotz Kurzarbeit etc., von 13,5 auf 13,6 Stunden pro Tag zu. In der Hälfte der Fälle übernimmt die Frau alleine die Betreuung.

"Carearbeit ist immer, nicht nur in Krisenzeiten, ein wesentlicher Teil, der mit zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Der wird auch üblicherweise unter den Tisch gekehrt. Dass Frauen Angehörige und Kinder unentgeldlich versorgen, darauf fußt unser Wirtschaftssystem. Carearbeit ist eine systemrelevante Leistung, immer, nicht nur in Zeiten von Corona", so wieder Sonja Lehnert. "Familien und hier insbesondere Frauen, leiden zwar am meisten unter der Last von Home Office, Homeschooling, gestiegenen Kosten, gesunkenem Gehalt, Existenzsorgen usw., haben aber kein Mitspracherecht im Coronakabinett. Das Familienministerium ist dort nicht zugelassen. Stattdessen werden Sub­ventionen für die sehr starke Automobilbranche und für die Lufthansa besprochen, die Bundesliga wird mit großem Gewese und Sicherheitsmaßnahmen realisiert – und Spargel wird’s geben, ganz wichtig."

„Durch Care-Arbeit entsteht im Sinne der Definition von Wirtschaft ein Mehrwert – nämlich Leben“, sagt die ehemalige Unternehmerin Karin Hartmann, und schreibt ihrer Landesregierung eine Rechnung für die Betreuung, Verpflegung und Beschulung ihrer drei Söhne in den bisherigen sechs Wochen über 6.300 Euro. „Die Leistung ist bereits vollständig erbracht. Ich bitte um zeitnahe Überweisung an meine Bankverbindung.“ Die Autorin Patricia Cammarata kommt sogar auf 22.296 Euro und vergisst auch nicht, die Rentenpunkte anzumahnen.

Auch Rona Duwe und Sonja Lehnert sind dabei. "Das Rechnungsstellen ist unsere Form von Protest, die wir in Zeiten von Corona von unserem Küchentisch aus führen können."

"Wir rufen Euch auf, Euch unter dem Hashtag #CoronaElternRechnenAb an dieser Aktion zu beteiligen! Schreibt von heute an monatlich eine Rechnung an das Kultusministerium (für Schulkinder) und/oder an das Familienministerium (Kitakinder) Eures Bundeslands. Sendet eine Kopie Eurer Rechnung an das jeweilige Bundesministerium ... Zeigt Eure Leistungen und Rechnungen ... Zeigt, wie ihr Eure Briefumschläge in den Postkasten werft, veröffentlicht Videos, in denen Ihr Euren Unmut deutlich macht und Eure Rechnungsstellung ankündigt." https://www.instagram.com/corona_eltern_rechnen_ab

Denn auch, wenn schon die Frauenbewegung der Siebziger sich von der Forderung nach Lohn für Hausarbeit verabschiedet hat als "Lohn für jede schmutzige Toilette ... und jedes Lächeln", so hat auch Rona Duwe recht: "Im Kapitalismus und Patriarchat hilft Jammern bekanntlich wenig. Jeden Tag muss Essen auf den Tisch und die Kinder müssen versorgt werden. Ob ich im Alter arm bin, interessiert auch kaum jemanden."

Noch eine Aktion: Petition für einmaliges Corona-Elterngeld https://www.change.org/p/eltern-in-der-coronakrise-nicht-im-stich-lassen-1000-euro-f%C3%BCr-familien

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