Schaaaaaade. Mitte März hatte die Deutsche Bahn das lästige Kontrollieren von Fahrscheinen in ihren Regionalzügen eingestellt, und noch bis diese Woche war ticketfreies Busfahren zumindest in (Teilen von?) Brandenburg gang und gäbe. Ein freundliches Schild erklärte (nein, nicht solche wie im Bild von 2009, sondern autorisiert!), es könne ja bei der nächsten Verkaufsstelle eines erworben werden - auch, wenn eine solche gar nicht angefahren wurde. Die Fahrer*in hatte keinen Stress mit Zusteigenden, die umständlich ihr Geld hervorzogen, während andere um ihren Anschluss bangten. Und die Gefahrenen wurde nicht monetär bestraft, dafür, dass sie ihre Oma oder ihre Freundin besuchen wollten, mal im Grünen entspannen, sich bei der Freiwilligen Feuerwehr engagieren oder auch nur erwerbsarbeiten. Denn ein ABC-Ticket für Berlin kostet 9,60 Euro - für schon ab 0,40 Euro mehr war ebenfalls während des Lockdowns zu haben, einen Menschen zu treffen, der nicht zum eigenen Hausstand gehörte.
Ach so: Das zweite galt als Strafe, das erste nicht? Faktisch macht es keinen Unterschied.
Im März wurde ebenfalls im gesamten Staat Luxemburg das ticketfreie Nutzen sämtlichen Öffentlichen Nahverkehrs eingeführt. Der Unterschied: Dort bleibt dabei. Denn es geschah völlig unabhängig von Corona. Aber nicht unabhängig von Krise und der Veränderung durch soziale Bewegungen. Diese waren es in den 1970ern, die als Reaktion auf die Ölkrise und auf ein damals neues Umweltbewusstsein sowie "die spürbare Distanz einer neuen Generation des Habens" (s.u.) die Funken erster Experimente entfachten. Als erste große Stadt machte Bologna in Italien den Aufschlag, 1973-74. Als prominentestes Beispiel gilt Hasselt in Belgien, 1997-2013. Aber auch in Deutschland gab es zeitweilig den Nulltarif im ÖPNV: in Templin und Lübben. In Tallinn schon lange, aber seit Sommer 2018 kann in 15 von 18 Bezirken Estlands kostenfrei gefahren werden. Auch in Frankreich gab es schon lange und gibt es Beispiele, und in Polen sind es immer mehr Städte, die den Nulltarif im ÖPNV einführen.
"Oft wird vergessen, dass Mobilität ebenso ein Grundbedürfnis ist wie das nach Bildung, Gesundheitsvorsorge, Pflege, Arbeit, Sicherheit, Gemeinschaftlichkeit, Kultur oder Sport. Der Zugang zu den wichtigsten Bereichen eines sinnerfüllten guten Lebens ist an Mobilität gebunden", schreiben Michael Brie und Judith Dellheim in dem von ihnen herausgegebenen und kurz vor der Veröffentlichung stehenden Buch Nulltarif. Auch dieses wird es unter einer Creative Commons-Lizenz kostenfrei zu lesen geben. Eine Leseprobe findet sich bereits hier.