Kurz bevor "I can't breathe' zum weltweiten Solidaritätsslogan gegen Rassismus wurde, berichtete Ludger Verst in der FR davon, wie ihn solidarisches Atmen im Leben gehalten hat:
"Dass mich das Virus treffen könnte, das hatte ich ganz sicher ausgeschlossen. Und jetzt war es da. Wie hereingeflogen durch die Tür. — Die Seuche hatte mich erwischt ...
Jetzt also Beatmung — ohne Ende. Zehn, zwölf Stunden am Stück. Ich sträube mich gegen diese viel zu eng sitzende Gesichtsmaske mit den stramm gezogenen Gurten am Kopf. Sie spendet zwar Sauerstoff, nimmt mir aber die Luft beim Husten. Ich quäle mich von Stunde zu Stunde, und wenn ich nicht schlafen kann, schaue ich auf die große Uhr über der Tür: Wieder nur sind erst zehn Minuten vergangen ...
Bei Wettkämpfen konnte ich mir meine Kraft und meine Luft gut einteilen. Hier kann ich mir nichts einteilen. Und auch meine Bestzeiten nicht verbessern. Im Gegenteil, je länger ich liege und je mehr ich hoffe und atme, desto frustrierender das Ergebnis: In der Lunge zeigen sich ausgedehnte, teils milchglasartige, teils flächig dichte Infiltrate, die meine Atemnot und einen hochgradigen Sauerstoffmangel im Blut verursachen. Mein Zustand verschlechtert sich zusehends ...
Eines Morgens, halb im Schlaf, halb noch im Fieber, träume ich, dass mir der Atem stockt, dass er mir ausgeht, es nicht mehr weitergeht. Und keiner mich hört bei diesen letzten Versuchen ...
Ja, jemand hatte meinen stummen Schrei gehört. Weil die Blutgaswerte schlecht bleiben und ich in meiner Niedergeschlagenheit zwar noch atmen, aber nicht mehr kämpfen will, organisiert meine Frau ein Bündnis fürs Atmen. Unsere Familie, unsere Freunde, Kollegen und Nachbarn, alle, die sich in Anrufen, über SMS oder Whats-App nach meinem Zustand erkundigen, werden um ihr solidarisches Mitatmen gebeten: „Breathe in … breathe out!“ —'Atmet für Ludger!' — Aus einer symbolischen Aktion erwächst ein gemeinsamer Atem, ein Rückenwind, der mich aus einem tagelang drohenden Stillstand ins Leben zurückträgt, mir den Willen zum Selberatmen wiederschenkt ...
Vielleicht ist dies die wichtigste, die nachhaltigste Erfahrung aus meinem Kampf gegen das Coronavirus: Du bist, wenn es ums Ganze geht, nicht allein. Wenn dir die Luft ausgeht, wirst du von anderen ins Leben hineingeatmet, 'in-spiriert'. Atmen und Inspiriert-Werden gehören zusammen, zunächst organisch, dann auch logisch."