Das Konjunkturpaket: die Mehrwertsteuer runter, eine Mini-Finanzspritze für Familien, keine Kaufprämie für Verbrennungsmotoren - es hätte schlimmer kommen können. Doch das Wachstum soll wieder angeheizt werden. Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der ZEIT, schrieb am Sonntag unter dem Titel Wo sind die Grünen, wenn man sie mal braucht?: "Was ökologisch und vor allem klimapolitisch notwendig war und ist, das ging und geht erkennbar über das hinaus, was die grüne Realpolitik den Menschen äußerstenfalls glaubte, zumuten zu können" - und das gilt selbstredend noch mehr für die Regierungsparteien. "Wenn jetzt beispielsweise der Kapitalismus in vollem Lauf und ohne nennenswerten Beitrag seiner Gegner in die Krise kommt, dann werden all jene wenige Ideen zu diesem Problem beisteuern können, die sich kein Wachstum nur als große Katastrophe vorstellen können." Aber Ulrich ist sehr optimistisch. "Die Leute sind nicht blöd. Sie haben schon vor Corona gewusst, dass die Grünen und die Ökologen insgesamt ihnen was vormachen, wenn sie behaupten, man könne mit den gewöhnlichen Instrumenten der Politik die fundamentale Krise im Verhältnis zwischen Mensch und Natur bewältigen". Das wirke "einfach unauthentisch. Und das ist in unserer sich nach Echtheit sehnenden Gesellschaft nun wirklich das Anschlussunfähigste überhaupt".
Okay, wenn es so ist: Hier sind zwei von vielen authentische Initiativen für wirklichen Wandel:
Gerechte1komma5.de alias der klimaplanvonunten.de will dem Anspruch der Klimagerechtigkeit gerecht werden und hat, im Zusammenwirken mit Wissenschaftler*innen, bestehendes Wissen aus sozialen Bewegungen gesammelt für einen umfassenden Klimaplan, der das gute Leben für alle ermöglichen könnte. Die erste Auflage vom März diesen Jahres listet bereits auf über 250 Seiten mögliche Maßnahmen in verschiedenen Bereichen auf. Die Stoßrichtungen bei gerechte Reproduktion, Produktion und Konsumtion zum Beispiel lauten: + Markt ökologisieren + Markt an Gemeinwohl orientieren + Bedingungslose Daseinsfürsorge + Care-Tätigkeiten fördern + Aufbau von Commoning-Strukturen. Im Bereich Energiedemokratie lauten sie: + Ausstieg aus fossilen Energieträgern + Ausbau erneuerbarer Energien + Demokratisierung der Energieökonomie. Die weiteren Bereiche heißen: Mobilitätsgerechtigkeit; gerechte Wohn- und Raumplanung; gerechte Landwirtschaft, Ernährungssouveränität & Waldnutzung sowie nicht zuletzt Globale Gerechtigkeit & Intersektionalität, oder auch "global gerecht und für alle".
Bei der ersten Auflage soll es nicht bleiben: Stoßrichtungen sollen geschärft und Maßnahmen ergänzt sowie noch mehr Bewegungen von Marginalisierten mit einbezogen werden - und konkreter dargestellt, was Menschen vor Ort tun können. Wer mag, kann daran mitwirken: https://gerechte1komma5.de/kontakt.
Christiane Schulzki-Haddouti berichtet bei den Riffreportern über das Netzwerk Oekonomischer Wandel (NOW), das auch auf diesem Blog schon Thema war. "In die Richtung einer gemeinschaftlich orientierten Krisenbewältigung stößt auch das Mitte Mai in Deutschland von Wissenschaftlern gegründete 'Netzwerk Oekonomischer Wandel' (NOW) mit drei Vorschlägen, um 'das gute Leben für alle' zu ermöglichen: Es fordert, Märkte am Gemeinwohl auszurichten und Profit- und Konkurrenzlogik sowie Erwerbszwang zurückzudrängen. Mit dem Vorschlag, die Commons auszuweiten, geht es noch einen Schritt weiter. Commons sind jenseits von Markt und Staat selbstorganisierte Räume der Zusammenarbeit. Beispielsweise könnte in Peer-to-Peer-Prozessen hergestellt werden, was zum Leben benötigt wird. Schließlich setzt NOW auf eine 'umfassende' Demokratisierung, die es erlaubt, 'Spielregeln zu setzen, die Commons zu stärken und Märkte auf das Gemeinwohl auszurichten'." Die "Wissenschaftler" (die, nebenbei bemerkt, bei NOW zugleich auch Aktivist*innen sind) könnten sich, so die Autorin weiter, mit ihren Forderungen auf eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung stützen, die Wirtschaft klima- und umweltverträglicher zu gestalten: "91 Prozent der Befragten in Deutschland sagten in einer repräsentativen Umfrage Anfang Mai, dass entsprechende politische Anstrengungen jetzt notwendig seien".
Die Heinrich Böll-Stiftung organisiert am kommenden Donnerstag, den 11. Juni von 16h30 bis 18h00, eine online-Veranstaltung mit Vertreter*innen von NOW sowie der Wirtschaftspublizistin Ulrike Herrmann, "darüber, welche Chancen für einen transformativen Wandel in der aktuellen Situation stecken und wo sich Brüche auftun". Anmeldung unter https://calendar.boell.de/de/event/anders-wirtschaften-jetzt?dimension1=startseite.